Preisverleihung am 19. November 2019

Eindrücke aus der Preisverleihung von andersartig gedenken on stage 2019. Wir sind alle bewegt über die Resonanz, das Theater Thikwa war bis zum letzten Platz belegt. Es war feierlich, würdevoll und berührend zugleich so vielen jungen Menschen zu ihrer Arbeit mit Biografien der Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Morde zu gratulieren. Insgesamt wurden 5 Schultheater und ein generationsübergreifendes Projekt ausgezeichnet. Ein Abend voller beeindruckender Momente. Die Worte von Sebastian Urbanski "ich lebe gern" klingen noch nach. Eindringliche Erzählung von der 86-jährigen Cäcilia Brockmann "und als ein Kind alleine zum Arzt musste, wussten wir, es kommt nicht wieder zurück..." bohrten sich ein, als sie ihre Erinnerung an die Nazi-Zeit mit uns teilte.

Das Theaterstück "Das Kinderkrankenhaus von Rothenburgsort. Oder:Keine Ahnung!", der Gewinnerbeitrag, hinterließ einen dicken Kloß im Hals, als die jungen Darsteller*innen der Stadtteilschule Bergedorf aus Hamburg Schilder mit vollständigen Namen der im Rothenburgsort ermordeten Kinder hochhielten und dazu sangen "hier ist ein Lied für jedes stumm gemachte Kind".
Und dennoch war es vor allem ein Abend voller Hoffnung und des herzlichen Miteinanders.

Allen Preisträger*innen und der Jury nochmal ein großes Dankeschön! Allen Unterstürzern und der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" danken wir, dass sie an das Projekt und das Wettbewerbsformat geglaubt haben.
Es bedankt sich der Förderkreis Gedenkort T4.

Irit Kulzk, die Vorstandsvorsitzende des Gedenkortes T4 eröffnete die Preisverleihung, Dr. Sonia Begalke sprach das Grußwort der Stiftung EVZ, Sebastian Urbanski hielt die Ansprache der Bundesvereinigung Lebenshilfe und die Projektleiterin Stana Schenck führte durch den Abend.


Preisträger 2019

Wir gratulieren allen Preisträgern und bedanken uns bei allen Theatergruppen, die sich auf den Weg gemacht haben, Biografien von Opfern der  NS-"Euthanasie"-Verbrechen auf der Bühne zu verarbeiten.

1. PREIS - "Das Kinderkrankenhaus von Rothenburgsort.Oder: Keine Ahnung", GSB Stadtteilschule Bergedorf, Hamburg

Das Kinderkrankenhaus Rothenburgsort war ein Hamburger Bestandteil des Mordprogramms der Nazis, das sie höhnisch Euthanasie nannten. Das Musik-Theaterstück erinnert an die Kinder, die hier zwischen 1939 und 1945 ermordert wurden. Das Stück beleuchtet den Ort des Geschehens aus der Gegenwartsperspektive. Die Musik und Theater Profilklasse (9. Jahrgang) hat zur Entwicklung des Stückes maßgeblich beigetragen und ihre eigene Fassung als Musik-Theater mit eigenen und persönlichen, erzählerischen, performativen und multimedialen Schwerpunkten erschaffen.

Laudatio von Florian Kemmelmeier
Laudatio von Florian Kemmelmeier

Laudatio von Florian Kemmelmeier

„Das Musiktheaterstück bietet in all seinen Bestandteilen einen frischen, explizit jugendlichen Zugang, in dem Jugendliche nicht nur vorgegebene Rollen einnehmen, sondern sich letztlich auch selbst spielen, und dabei ihren ganz eigenen Zugang und auch Stil einbringen. Die Geschichte des ehemaligen Kinderkrankenhauses Rothenburgsort erscheint eng verbunden mit Fragen der Gegenwart.“

Keine Ahnung
Das Kinderkrankenhaus von Rothenburgsort

2. PREIS - "Makellos", Werkgymnasium, Heidenheim

Die postdramatische Montage ist von immer wiederkehrenden Aufforderungen "Zeigt eure Makel, los!" motiviert, nach der die Spieler*innen biografische Texte von ihren Makeln sprechen. Diese werden neben den Biografien von sechs Opfern der NS_"EUthanasie" gestellt, die alle wiederum einen uns besonders berührenden Moment beinhalten. Im Gegenüber, im Nebeneinander, im Kontrast der Opferbiografien und unserer Biografien entsteht die Frage nach der Skalierbarkeit von Makeln und damit von Menschenwürde und es entsteht gleichzeitig ein Raum des Erinnerns und der kritischen Reflexion.

Laudatio von Sigrid Kolster
Laudatio von Sigrid Kolster

Laudatio von Sigrid Kolster

„Sehr positiv deutlich wird mit dieser Darstellung, dass sich alle Teilnehmer*innen in der Herangehensweise intensiv mit dem Erhalt des kollektiven Gedächtnisses in Bezug auf die Taten des Nationalsozialismus und in diesem Zusammenhang mit der Verantwortung jedes Einzelnen – nicht zuletzt auch auf aktuelle politische Entwicklungen in unserer heutigen Welt bezogen - auseinandergesetzt haben.“

3. PREIS - "Minderheiten. Das Vergessen ist Teil der Vernichtung selbst", Carl Orff Gymnasium, Unterschleißheim

In "Minderheiten"wurden viele Briefe der Familie des ermordeten Fritz D. verarbeitet und so lassen sich all die Gefühle der Angehörigen hautnah miterleben: Liebe, Wut, Verzweiflung, den Versuch zu „verhandeln“, Kompromissbereitschaft, Argumentation und schließlich Empörung und Entsetzen. Sie liefern einen intimen Blickwinkel auf die Lebensstationen von Fritz. Zwischen jeder Lebensstation des Fritz wird je ein Bild aus der Gegenwart eingefügt, beginnend mit Gedanken des Autisten Raphael Müller zu seiner Umwelt . "Minderheiten" entlarvt durch viele Szenen strukturelle Diskriminierung und benennt die Betroffenen, die Quellen der Diskriminierung wie auch Kontinuitäten durch reale eindringliche Einzelbeispiele. Das Stück schließt mit dem englischen Gedicht einer äthiopischen Mitschülerin über den Erwartungsdruck der deutschen Gesellschaft an sie.

Laudatio von Kai Bosch
Laudatio von Kai Bosch

Laudatio von Kai Bosch

„Die Verbindung von historischem Geschehen zur aktuellen gesellschaftlichen Thematik der Ausgrenzung wurde von den Schüler*Innen des Carl-Orff-Gymnasiums realitätsnah herausgearbeitet. Das Stück zeigt auf bewegende, ergreifende Weise die unterschiedlichen Arten der Ausgrenzung und den oftmals rücksichtslosen Umgang mit Minderheiten auf.“

4. PREIS- " Gedenken-Verstehen-Nicht Vergessen", Oberschule Alexanderstraße Oldenburg

Das Stück beginnt mit einem Brief eines Vaters an die Anstaltsleitung einer psychiatrischen Einrichtung, in dem er beklagt, nicht an der Beerdigung seines Sohnes teilnehmen zu können...Es folgen kurze Einblicke in das Familienleben einzelner Opfer der NS-"Euthanasie", bevor sie in Heil- und Pflegeanstalten gebracht werden. Das Stück geht auf den unfassbaren Einsatz von Barbituraten ein, auf den Entzug sämtlicher Nährstoffe, die sogenannte "Hungerkost". Der Zeitsprung ins Heute beschäftigt sich mit der Frage "Was ist der Mensch?" und endet mit Sätzen wie: "Es fing an mit Menschen, die einfach wegschauten."

Sigrid Falkenstein
Sigrid Falkenstein

Laudatio von Sigrid Falkenstein
Autorin und Mitgründerin des Runden Tisches T4

"Die Gruppe ist auf Spurensuche gegangen und hat nach Antworten gesucht, die helfen, heute und morgen verantwortungsvoll zu handeln. Die eindringlich im Chor gesprochenen Schlussätze runden das Theaterstück wirkungsvoll ab: „Es fing nicht mit den Gaskammern an. Es fing an mit einer Politik, die von w i r gegen d i e sprach. Es fing an mit Intoleranz und Hassreden. Es fing an mit der Aberkennung von Grundrechten. Es fing an mit brennenden Häusern. Es fing an mit Menschen, die einfach wegschauten." Sätze, die als nachhaltige Botschaft haften bleiben!

5. PREIS - `planwirtschaftlich verlegt`, Gymnasium Herderschule, Lüneburg

In Kooperation mit der "Euthanasie" Gedenkstätte Lüneburg hat sich der Kurs "Darstellendes Spiel" (Jahrgang 9) des ernsten und schwierigen Themas "Euthanasie im Dritten Reich" angenommen und dabei einzelne Biografien berücksichtigt, deren Schicksale nicht zuletzt 200 Meter Luftlinie von dem Gymnasiums entfernt vor rund 75 Jahren in der Heil- und Pflegeanstalt Lüneburg entschieden wurden. Entstanden ist eine Szenencollage, die den Schülerinnen und Schülern sowie den Zuschauern einen Einblick in das Ausgeliefert-Sein betroffener Familien einerseits und in das Handeln des NS-Apparates im Namen der Rassenhygiene anderseits vermitteln will. So geht es in dem kaleidoskopartigen Stück um das Lebensgefühl zum Teil Gleichaltriger, die im Zeitalter des Rassenwahns aufgrund einer Behinderung oder psychischen Beeinträchtigung aussortiert wurden. 

Michael Stacheder - Theaterregisseur und Juryvorsitzender
Michael Stacheder
Theaterregisseur und Juryvorsitzender

Laudatio von Michael Stacheder
Theaterregisseur und Juryvorsitzender

„Mit eindringlichen, theatralischen Mitteln und wenigen Experimenten gelingt es dem jungen Ensemble des Gymnasiums Herderschule in Lüneburg den regionalen Bezug zur nahen Klinik herzustellen, das Unfassbare, das schwer zu Begreifende authentisch auf die Bühne zu bringen. Wichtige und zahlreiche Zeitdokumente, die im Archiv der heutigen Denkstätte Lüneburg aufbewahrt werden und von der systematischen Ermordung von Menschen in der damaligen Heil- und Pflegeanstalt erzählen, bildeten die Arbeitsbasis und die Grundlage für das Textmaterial der künstlerischen Auseinandersetzung. Die enge wie intensive Zusammenarbeit mit der Denkstätte Lüneburg gilt es besonders zu würdigen.“

Einspieler der preisgekrönten Stücke der Preise 2-5, erstellt für die Preisverleihung

2. Preis
3. Preis
3. Preis
5. Preis

Inklusionspreis

"Vergiss-mein-nicht" - Theaterwerkstatt Haldern, Rees

Die Projektgruppe der Theaterwerkstatt Haldern "Gegen das Vergessen" gründete sich 2017. Die Gruppe ist ein Zusammenschluss aus dem Seniorentheater "Mischobst", der Theatergruppe der Werkstatt Lebenshilfe für Menschen mit Behinderung "Augenblick-Mal" und dem "Filmprojekt" von syrischen Jugendlichen mit Fluchterfahrung. Vergiss-mein-nicht spiegelt die persönlichen Geschichten der Spieler*innen. Im Stück zeigen sie die verbindenden Elemente ihrer Schicksale. Krieg, Flucht, Anderssein. Sie gedenken gemeinsam aller Opfer, die ihr Schicksal berührten. Den Menschen, die durch Wegschauen Anderer im Mittelmeer ertranken und den Menschen, die durch Nationalsozialisten ermordet wurden, weil sie anders waren.

Prof. Dr. Marianne Hirschberg
Prof. Dr. Marianne Hirschberg

Laudatio von Prof. Dr. Marianne Hirschberg

„Über das Erzählen und gemeinsame Teilen der unterschiedlichen Lebenserfahrungen und eigenen Geschichten zeigt das Stück, wie Menschen zu Anderen gemacht werden, als Andere wahrgenommen und ausgegrenzt werden. Das Theaterstück bietet jedoch auch einen Einblick darein, wie es gelingen kann, einander anzuerkennen, Verbindungen zueinander aufzubauen und miteinander Leben zu teilen.“

Gespräch mit Cäcilie Brockmann - andersartig gedenken on stage 2019

Eindrucksvoll schildern die Protagonist*innen des Theaterstückes "Vergiss-mein-nicht" der Theaterwerkstatt Haldern ihre persönliche Lebensgeschichten und wie sie sich durch die Theaterarbeit zu Biografien der Opfer der NS-"Euthanasie" damit auseinander setzten konnten. Die 86 jährige Cäcilia Brockmann, die selbst als Kind in eine Heilanstalt kam, weil sie lungenkrank war, erzählt ihre Erinnerungen. Ihr Appel an die heutige Generation ist klar und unmissverständlich: "Nie wieder!"

Trailer "Vergiss mein nicht"
Making Off "Vergiss mein nicht"

Besondere Anerkennung

Im Rahmen des Wettbewerbs wurden 15 Theaterstücke eingereicht. 11 schulische und 4 außerschulische, generationsübergreifende Projekte, davon zwei Produktionen außer Konkurrenz. Weitere 12 Gruppen bekundeten ihr Interesse am Wettbewerb teilzunehmen, konnten aber keine Beiträge fertigstellen und einreichen. Das Team von `andersartig gedenken on stage 2019` führte insgesamt 5 Workshops für insgesamt 8 Schulklassen in Berlin, Frankfurt Oder, Brandenburg an der Havel und in Heidenheim durch.

Wir bedanken uns bei allen Gruppen für Ihre Einsendungen. Jeder dieser Beiträge verdient besondere Anerkennung für das Engagement der Beteiligten sich mit dem Thema der NS-"Euthanasie"-Verbrechen auseinanderzusetzen und Einzelschicksale künstlerisch aufzuarbeiten:

Theater AG des Staatlichen Gymnasiums Alzey für das Stück "Gnadenlos"

Dr. Maria Probst Schule, Fachschule für Heilerziehungspflege Würzburg für das Stück "Wann kommt der Bus?"

Carl-Bosch-Schule und die Werkstatt Junge Geschichte Berlin für das Stück "Moving Sculptures"

Don-Bosco-Schule Stiftung Liebenau Meckenbeuren für das Stück " Gemeinsam unterwegs-gegen das Morden"

Die "Braunhemd Crew" aus Kreis Dithmarschen mit dem Stück "Aufgefallen"

Montessori Schule Inning für das Stück "Vielfalt gewinnt"

Heyoka Theater Ulm für das Stück "Triebe-ins Freie"

Die Gruppe "I can be your translator" Hardecke für das Stück "Das Konzept bin ich" (außer Konkurrenz)

Haus der Jugend Köpenick Berlin für die filmische Szene "Elisabeth B." aus der Produktion "Novemberkinder" (außer Konkurrenz)

Einblick in die Einreichungen andersartig gedenken on stage 2019

Einblick in einige Einsendungen "andersartig gedenken on stage 2019"

Aufgabe und Ablauf

andersartig-gedenken-on-stage fördert Theater gegen das Vergessen. Bundesweit waren Jugend- und Schultheatergruppen aufgerufen,  Biographien von Opfern der NS-"Euthanasie"-Verbrechen ins Zentrum eines selbst entwickelten Bühnenstücks zu stellen. Die Seite www.gedenkort-t4.eu informiert über historische Fakten und stellt eine öffentlich zugängliche Datenbank von Opferbiographien zur Verfügung.

Die Theaterproduktionen konnten neben Fakten auch Fiktionen und Bezüge auf aktuelle gesellschaftspolitische Diskurse, wie z.B. den Umgang mit Menschen mit Behinderungen, bioethische Fragestellungen oder die Sterbehilfe, beinhalten. Die Stücke konnten als Drama, dokumentarisches Theater, szenischen Darstellung, szenische Lesung oder als Performance entwickelt werden.

A B L A U F

Auslobung: Mai 2018
Einsendefrist: 29. Mai 2019
Jurysitzung: 26. und 27. Juli 2019
Preisverleihung: 19. November 2019 im Theater Thikwa in Berlin

Geschichtlicher Hintergrund

Als Teil der nationalsozialistischen Rassenideologie wurden bis 1945 ca. 300.000 Kinder, Frauen und Männer mit psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung systematisch ermordet. Ziel der nationalsozialistischen Bevölkerungs- und Gesundheitspolitik war die Schaffung einer erbgesunden »arischen« Rasse. Ausgehend von sozialdarwinistischen Ideen, die bereits vor dem Ersten Weltkrieg - auch in anderen Ländern Europas und in den USA - Eingang in die modernen Wissenschaften Eugenik und Rassenhygiene gefunden hatten, kam es zu Beginn des Zweiten Weltkrieges - beschleunigt durch ökonomische Interessen - zur Radikalisierung dieser Ideen. Trotz der hohen Opferzahl sind erst wenige Tausend Namen öffentlich zugänglich und von noch viel weniger Opfern ist ihre Geschichte bekannt.

Mehr Informationen zu den historischen Fakten finden Sie zum Beispiel auf der Webseite www.gedenkort-t4.eu Bei Fragen können Sie uns auch gerne kontaktieren.

Theater ist ein wunderbares Mittel, das Brücken zwischen den Welten baut, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen fremden und eigenen Lebensgeschichten. Durch die Darstellung einer Opferbiographie wird die Geschichte greifbar, die grausamen Taten bleiben dennoch unbegreiflich. Theater schafft Begegnung und Austausch über persönliche Wahrnehmung der Geschichte und gibt dem Gedenken an die Opfer einen würdigen und lebendigen Raum.

andersartig gedenken 2015/16

andersartig gedenken on stage wurde bereits 2015/16 durchgeführt.

Information über diesen Wettbewerb finden Sie auf
http://www.gedenkort-t4.eu/de/das-projekt/andersartig-gedenken

Die Trailer der Theaterstücke, die am 1. Oktober 2016 in Berlin ausgezeichnet wurden, stellen wir hier zur Verfügung: